Sehr geehrter Pastor Altevogt,
sehr geehrte Geistlichkeit,
sehr geehrte Frau Vieregge,
sehr geehrte Frau Hannen,
sehr geehrter Herr Landrat Dr. Lehmann,
liebe Gemeinde,
sehr geehrte Gäste der Gemeinde St. Marien,
diese ehrwürdigen Mauern haben viel erlebt, Gutes und auch Schlechtes, gar Böses. Als vor über 700 Jahren nur wenige Jahrzehnte nach der Stadtgründung Lemgos, der Altstadt, sich gleich nebenan eine Neustadt bildete, war es selbstverständlich, dass diese auch eine Kirche brauchte. Der beste Platz war im Grunde schon vergeben, auf dem Kiesrücken etwas entfernt von der Bega, wo einst ein bedeutender Handelsweg in West-Ost-Richtung verlief und Graf Bernhard zu Lippe eine Stadt gründen lies. Aber da auch von Norden nach Süden der Handel florierte, wurde die neue Stadt südlich Richtung Bega, in wenig tragfähigen Grund gebaut. Diese Bodenverhältnisse spüren nicht nur Bauherren auch heute noch, auch die schiefen Mauern St. Mariens, mit Eisenkonstruktionen zusammen gezurrt, zeugen von dieser Geschichte. Zum Glück gibt es diese Stahlbänder, so können wir uns heute sicher fühlen und brauchen keine Angst zu haben, dass uns die Decke auf den Kopf fällt.
Die Marienkirche ist der Nachfolgebau der ersten Neustädter Kirche und ihre ersten Jahre waren geprägt durch die Dominikanerinnen aus Lahde, nahe Minden, die mit ihrer Bibliothek Bildung und Kultur in der jungen Stadt verbreiteten. Der reformatorische Gedanke war aber stark in der Stadt, so dass 1528 schon der erste reformatorische Gottesdienst gefeiert wurde – das gefiel den Nonnen und dem Grafen Simon nicht, aber es war nicht aufzuhalten. Knapp 50 Jahre später kamen auch evangelische Nonnen, viel später wurde St. Marien Damenstift, wovon heute noch die Altenfürsorge des Stiftes St. Marien zeugt.
Soviel zum Parforceritt durch die Geschichte. Was können wir aus dieser Geschichte ableiten? Ich möchte mit drei wenigen Punkten darstellen, wie die Gemeinde St. Marien seit 700 Jahren unsere Alte Hansestadt Lemgo mit prägt und warum wir das schätzen sollten.
Die Nonnen brachten mit ihren Büchern Kultur. Und noch heute zeugt dieses Bauwerk mit seinen Kunstschätzen als Zeitzeugnis von der Lebensweise, dem handwerklichen Können und dem Denken unserer Vorfahren. Es ist Bestandteil vieler Stadtführungen. Damit repräsentiert St. Marien auch unsere Stadt und ist gleichzeitig eine echte Sehenswürdigkeit. Jedoch eine, die nicht oberflächlich ist.
Darüber hinaus steht diese Kirche wie keine andere in Lemgo seit vielen Jahrzehnten für einen außerordentlichen kirchenmusikalischen Kunstgenuss. Diesen ermöglichen zum einen die beiden bedeutenden Kerninstrumente, die von Paul Ott erstellte Hauptorgel sowie die rekonstruierte sogenannte Schwalbennestorgel im Stil der Spätrenaissance. Zum anderen haben die jeweiligen Kantoren an St. Marien mit Kantorei, dem Festival MixTour (ehemals Orgeltage) und unzähligen Konzerten, das kirchenmusikalische Leben aber natürlich auch das gesamte kulturelle Leben der Stadt, vor allem nach 1945, unendlich beschenkt und bereichert (vieles davon in jüngster Zeit in guter Zusammenarbeit mit den Kirchenmusikalisch-Verantwortlichen der Altstädter Kirche St. Nicolai).
Aber man kann in diesem Raum auch eine steinerne „Judensau“ entdecken. Diese dient als Mahnmal, dass früher eben nicht alles besser war. Dass die Herabwürdigung von Mitmenschen eine lange unrühmliche Tradition hat, und dass auch in Lemgo. Lassen sie uns das als Hilfestellung begreifen und immer dann wenn in unserem Sichtfeld der stattliche Turm St. Mariens im Stadtbild auftaucht, als kleine Trotzreaktion Gedanken der Solidarität mit den Menschen empfinden, welche aus ihren Ländern aufgrund von Verfolgung flüchten müssen oder denen es einfach schlechter geht als uns selbst.
Damit kommen wir zur Fürsorge, die die Gemeinde hier lebt. Ich erinnere an die Gabenwand, welche anfangs der Covid-19-Pandemie aufgestellt wurde, um Mitmenschen, die wenig besitzen und nicht Einkaufen gehen konnten, das Nötigste zur Verfügung zu stellen. Ein sehr schönes Zeichen der Mitmenschlichkeit. Aber auch die vielen Gruppen und Aktivitäten der Gemeinde bringen den Bewohnern der Stadt soziales Leben und gemeinschaftliche Kontakte, die Freude machen und so vielen Gruppen eine Teilhabe am städtischen Leben ermöglichen. Die Lemgo noch lebenswerter machen. Fit im Alter, das Senioren-Frühstück, die Chor-Nostalgie, das Friedensgebet, Bibelgruppen, Musikgruppen, der Teen-Treff, bis hin zum Tango Argentino – wo Menschen zusammenkommen und in Frieden und im Glauben gemeinsam Schönes erleben, entsteht eine Beziehung zu der Stadt und ihren Mitmenschen, die positiv und fruchtbar wirkt. Und das seit siebenhundert Jahren.
Gemeinschaftlich etwas tun als Gemeinde, aber auch mit Toleranz über den Tellerrand sehen. Die Kirchen aus dem 13., 14. und 15. Jahrhundert waren ja immer erst mal katholisch. Bei Marienkirchen wird man ganz besonders an diesen Umstand erinnert, das geht zumindest mir so, der – als Lutheraner – lange in katholischen Gegenden gelebt hat. Zum Auftakt des Jubiläumsjahres begleiteten die Dominikanerinnen den Gottesdienst. Das hat mich gefreut, nicht nur wegen des geschichtlichen Bezuges. Es war auch ein Zeichen, dass wir alle, ob reformiert, lutherisch, katholisch oder anderen Ausrichtungen oder sogar Religionen angehörig, mehr nach Gemeinsamkeiten suchen sollten als nach dem, was uns trennt. Das sollte in der Lokalpolitik so sein, aber auch in der Nachbarschaft.
Die Kirchengemeinde St. Marien hat mich zu diesen vorgebrachten Gedanken inspiriert. Ich wünsche der Gemeinde, dass sie zum Wohl unserer Stadt noch viele Jahrhunderte eine frohe Botschaft verkünden kann und gute Impulse setzt. Ich bin mir sicher, dass die Gemeinde die Stadt noch viele Generationen nicht nur durch das beeindruckende Bauwerk, mit dem ich meine Ansprache begann, prägen wird, sondern auch durch das Wirken der Gemeindeglieder. Im Namen von Rat und Verwaltung darf ich dazu alles Gute und Gottes reichen Segen wünschen.
Comments